HERBSTLIED


( copyright 1990 Hadan)

H
HE
HER
HERB
HERBS
HERBST
HERBSTL
HERBSTLI
HERBSTLIE

HERBSTLIED

I

Wer weiss? Ich nicht.
Lied, Leid, Leitlied: wer
sich nicht fuer das Leben
entscheiden kann, scheidet
Leben von Liebe, setzt Grenzen
der Gesamtpersoenlichkeit,
der Reaktionsfaehigkeit, faehig
des Gefuehls des Gewuehls doch
noch Ungehorsames zu verrichten
und der harmonischen, synchronen
Moeglichkeiten, der Achtung vor dem
Leben, dem fremden wie dem eigenen,
und jenseits der Illusionen, der
Wachstums Staerke,
eben der Liebe...

Ach, was rede ich vor mich her?
Einst, vor elf Jahren, folgte ich einer Feder:


II

"Verliebt bin ich
Wen bin ich verliebt in
Die Taube die uns entflogen
In die Rose, den dornigen
Strauch darin bluehten
Bluehen der Liebe Worte
In den Herzen der von uns
Geliebten bleibt aber
Das Schweigen, der Stille
Frucht bring meine Liebe
Denen, die sie annehmen"

Und nun?


III

Verleiten lass ich mich durch ihn,
den ich fuer gewoehnlich 'ich' nenne.
Ars. Ars amandi.
(Kunst. Kunst des Liebens.)
Doch was heisst es lieben?
Deinen Schweiss, das Salz aufschlecken,
mein Zungenschlag dem Deines Herzens
anzupassen, zu fuegen, tastend
zu verschmelzen? Die Kunst des Liebens
in drehenden Gliedern, leiblichen Boegen,
ein koerperliches Duett?
Transzendente Traeumereien?

Warum auch nicht.


IV

Unvermeintlich:
Ich moechte das Leben reden hoeren,
Deinen Erzaehlungen, Summe
Deines Ichs, zuhoeren, einbrennen
und tief durch die Haeute
unsriger Vergaenglichkeiten
verrinnen lassen; wachend der
falschen Selbstliebe, dem
Narzissmus, dem pathologischen,
verfremdenten, unserer, dieser
abgreifenden, abgeklatschten
Gesellschaft als Nichtsangelegenheit
bewusst, mit meinem Kopf
in deinem Schoss, den Euecken
kehren, deiner Stimme folgend...

In welche Fernen schweife ich?


V

Die Feder schrieb fort:
"Im Auge wirken
die Geschehnisse beilaeufig
und erst durch die Sprache
waechst der Augenblick
das Geschehen gleichsam
zur Bedeutung, Zeit, Geschichte.

Worte sind um so vieles verletzlicher
das Schweigen beinhalted den
Frieden und die Freiheit und
liegt nicht im Schweigen eine
weitaus umfassendere Bedeutung
im Auge durch die Beilaeufigkeit"

Vielleicht aber auch nicht?


VI

Drum
Komm Freund, Eintritt frei:
Omar Khayyams Rubaiyat,
Vers Einundsiebzig...
Ist das Wort Form des
Fuerwahrhaltens oder
des Wissens? Woher der Glaube,
generative Vernunft, Hoffnung an
die Gegenwart? Wirklichkeitsein-
schaetzung: schaetzen, ein-unter-ver-ueber-
schaetzen...? Wirklichkeit: Gott- und
idollos; vereinahmtes, unvereinahmtes
Urteilen? Leben: Definitionen inhaltlicher
Werte? Besinnung! Eine Flucht in den
Schein vom Sein der Woerter hat
hier keinen Sinn mehr im
Sinnlichen im Beduerfnis der
gewollten Erfahrung
des Teilens.

Dennoch Formalbetrachtung ver-
schiedenster Daseinswerte?
Nun gut:


VII

Einladung zur Schwerelosigkeit, zum
Unendlichen im Endlichen. Gern
wuerd' ich mit feuchtem, rechthaendigen
Zeigefinger behutsam kreisendhorschend
Deine Lippen lesen hoeren:
"zeitlos
wunderbare Spielerei
zwischen offenen Menschen
und freier Hoehe".
Morgen vielleicht, oder aber auch
erst dann, spaeter; der Kreis zeichnet
nicht die Sprache sondern
die Sprache den Kreis-lauf.
Daseinswerte. Zeit.


VIII

Zeit: teilen oder zerlegen
Stueck fuer Stueck
vielleicht wie eine Mauer
aufbauen oder abbauen.
Semantik?
Zeit: ausserhalb der, innerhalb einer,
nach dieser, vor jener, waehrend welcher,
unsrige aller verfliegende Zeit,
fruehere, jetzige, freie... Sicherlich,
zeitgebundene Zeitwenden.
Zeilen: ich moechte neben Dir
gehen, sitzen, liegen,
nackte Hand in Hand
uns die Waerme teilend
wortlos nichtsverschweigend
verstaendigen.
Und jetzt?


IX

"Wohin, mit den Haenden?" schrieb der Loew'.
"Wie gerne sie Rosen halten-
In die zugenaehten Taschen vielleicht?
Faeuste? Sind sie schon lange nicht mehr:
Noch aber
Zehn sich reckende Gebote;
Und denke traurig
Was?
Stehet ihnen noch zu tun!
Zwei mal fuenf-
Zwei Faecher oder fuenf auf-
Und abrollendede Staebchen
Vor jedem Auge die
Einsamkeit-
Wohin?


Wohin mit meinen Haenden
-den Rosen?"


X

Wer weiss? Was Liebe,
die Welt ohne Liebe,
die Kunst des Liebens ist?
Vermeintlich: das Wort ist
Form des Fuerwahrhaltens, fuer
manche des Wissens; Worte sind
um so vieles verletzlicher! Und
der Stille Schweigen Schmerz?
Woher der Glaube, die Hoffnung
an die Gegenwart des Wortes
Liebe?
Woher solch' Daseinswert?
Zeit der generativen Vernunft:
Strauch darin bluehen
Bluehen der Liebe Worte
Wer weiss? Ich nicht. Doch wer
sich nicht fuer die Liebe entscheiden
kann setzt Grenzen


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